Sir Georg Solti
21. Oktober 1912 - 5. September 1997



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Das letzte Interview - Oktober 1997

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Sie kannten Bartók, Toscanini und Richard Strauss. Wer hat Sie am meisten beeindruckt?
Wahrscheinlich der große Arturo Toscanini. Er hat mir als 24jähriger beigebracht, hart zu arbeiten. Das ist das einzige, was man von einem großen Musiker lernen kann. Man muß kämpfen. Nichts kommt von allein.

Mit sechs wurden Sie von Ihren Eltern zum Klavierunterricht verdonnert. Empfanden Sie da Frust oder Freude?
Naja, ich habe damals viel lieber Fußball gespielt und hoffte, ein richtig großer Fußballer zu werden.

Sie sind seit 50 Jahren bei Platten-Laben Decca und dirigierten 22 Jahre das CSO. Angst vor Veränderung?
Keineswegs. Aber gute Konstellationen soll man sich erhalten. Ich wäre sicher heute noch in Chicago, wenn mir die Fliegerei nicht so schwer fallen würde. Aber der Jetlag macht mir zu schaffen. Einmal im Jahr kehre ich trotzdem zu meinen Kindern zurück, um mit ihnen zu musizieren. Im Oktober dirigiere ich die Chicago Symphony zu 1000. Mal. Und Sie werden es kaum glauben: Lampenrfieber habe ich immer noch!

Sie gelten als Taktstock-Diktator, der aus seinen Musikern das letzte herauspressen will.
Natürlich habe ich auch mit schlechten Orchestern gearbeitet. Aber normalerweise kommt meine Stimme niemals über mezzoforte hinaus. Gute Musiker muß man bitten, nicht anschreien. Dann gehen Sie mit einem durchs Feuer.

Was sind Ihrer Ansicht nach die fünf besten Orchester der Welt?
Meine Top Five? Chicago, Cleveland, Berlin, Wien und Philadelphia - aber ohne eine bestimmte Reihenfolge.

Sie begannen Ihre Karriere als Leiter der Budapester Oper. 1939 mußten Sie vor den Nazis in die Schweiz flüchten. Beschleichen Sie Ressenitments, wenn Sie heute in Deutschland eine Konzertbühne betreten?
Ich erinnere mich noch genau, wie ich am 15. August 39 Budapest verließ. Ich kannte in der Schweiz niemanden und hatte kein Geld. Aber mein Mutter bat mich per Telegramm: "Komm' auf keinen Fall nach Hause." Im September 46 war ich einer der ersten Juden, die nach Deutschland reisten. In München wurde ich mit offenen Armen empfangen. Heute habe ich viele deutsche Freunde. Ich bin ein überzeugter Europäer, der nicht an Kollektivschuld glaubt. Nur ein vereinigtes Europa kann verhindern, daß wir wieder ähnliche Zustände wie unter den Nazis bekommen. Der Kommunismus hat ausgedient, der Faschismus jedoch nicht.

Zwischen 1958 und 65 nahmen Sie mit den Wienern Richard Wagners "Ring" auf. Zu Ihrem Geburtstag erscheint die Jahrhundert-Einspielung in einer digital aufgearbeiteten Neuauflage.
Von der ursprünglichen Aufnahme ist bei der Langspielplatte viel verloren gegangen. Ich war zwar nicht bei der Überarbeitung im Studio, aber ich kenne das Ergebnis: der CD-Klang ist jetzt viel besser und nahe am Original.

Eine lebende Legende wie Sie müßte doch ein glühender Verfechter der schwarzen Scheibe sein...
Es stimmt nicht, daß die Schallplatte wärmer klingt. Mich fasziniert die moderne Technik. Sie können heute Details korrigieren, das hätte man vor zehn Jahren nicht für möglich gehalten. Wenn Sie aber Kratzer und Knackser mögen - bitte schön...

Der Sound wird immer besser, aber die Persönlichkeiten sterben aus. Wo sind die Furtwängler, Bernsteins und Soltis von morgen?
Es gibt eine Menge begabter Dirigenten. Die brauchen allerdings noch 20 Jahre, bis sie Personality entwickelt haben. Ich war auch nicht immer so gut. Jedes Jahr wachsen junge Leute heran, die noch nie Beethovens Fünfte gehört haben und von dieser Musik fasziniert sind.

Sie schreiben an Ihrer Biographie. Müssen einige Ihrer Weggefährten und Kollegen davor zittern?
Bestimmt nicht. Mein Leben war auch ohne solche kleine Häßlichkeiten interessant genug.

Schmeckt Ihnen der Erfolg von klassischen Popstars wie Luciano Pavarotti?
Für mich ist so etwas billige Geschäftemacherei. Aber vielleicht regt es die Leute irgendwie an, bessere Musik zu hören.

Was empfinden Sie, wenn Sie Pop- oder Rockmusik lauschen müssen?
Pop ist dumm. Die Beatles waren die einzige begabte Gruppe. Alle andere ist laut und langweilig. Jazz höre ich dagegen gerne.

Mit 85 Jahren sehen Sie aus wie das blühende Leben. Verraten Sie uns Ihr Geheimrezept?
Dirigieren ist gesund. Diese Tätigkeit hält Herz unf Lunge in Höchstalarm. Ansonsten gibt es nur ein Geheimnis: ich liebe meine Arbeit.

Treiben Sie Sport?
Ich mache regelmäßig ein paar Übungen auf dem Trimmrad. Im Sommer spiele ich Tennis, schwimme, oder gehe spazieren - und zwar barfuß. Ich habe seit vielen Jahren ein Haus in der Toscana. Ich esse kaum Fleisch, aber ich trinke jeden abend einen Whisky.

Worauf dürfen sich die Solti-Fans in nächster Zeit außer dem "Ring" freuen?
Mit dem LPO habe ich vor kurzem "Don Giovanni" eingespielt. Außerdem möchte ich Debussys "Pelléas und Mélisande", die 15. Symphonie von Schostakowitsch und den "Wozzeck" einstudieren. Sie sehen, nich unbedingt die leichteste Kost. Das alles dauert drei bis vier Jahre.

Wenn Sie einmal aus dem Leben abtreten müssen: Wie wollen Sie den Musikliebhabern in Erinnerung bleiben?
Mir ist wichtig, daß ich keine Aufnahme leichtfertig gemacht habe. Aber letztendlich überlebt nur das Werk, nicht die Interpretation. Was von mit übrigbleibt? Wahrscheinlich gar nichts.








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